Was ist Expressionismus?

Expressionismus

Der Expressionismus war eine einflussreiche Kunstbewegung des frühen 20. Jahrhunderts, die vor allem im deutschsprachigen Raum verbreitet war. Die Künstlerinnen und Künstler nutzen kräftige Farben, dynamische Linien sowie bewusst vereinfachte oder verzerrte Formen, um innere Empfindungen, existenzielle Erfahrungen und subjektive Wahrnehmungen eindringlich zum Ausdruck zu bringen – oft als Reaktion auf gesellschaftliche Umbrüche und das Erleben der Moderne.

Wie John Willett in seinem Buch zum Expressionismus betont, handelte es sich beim Expressionismus – anders als etwa beim Futurismus oder Surrealismus – nicht um eine klar abgegrenzte, programmatische Bewegung mit einem einheitlichen Manifest oder kollektiven Aktionen. Vielmehr vereinte der Expressionismus unterschiedlichste Künstlerpersönlichkeiten, die individuelle Ausdrucksformen entwickelten, jedoch ein gemeinsames Interesse an subjektiver Wahrnehmung und emotionalem Ausdruck teilten. Innerhalb dieser heterogenen Strömung gelten insbesondere die Künstlergruppen Die Brücke (gegründet 1905 in Dresden) und Der Blaue Reiter (gegründet 1911 in München) als zentrale Wegbereiter.

Entstehung des Expressionismus

Der Expressionismus ist vor allem ein Phänomen des deutschsprachigen Raums im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Wie der deutsche Kunsthistoriker Norbert Wolf schrieb, teilten expressionistische Gruppen Studios, Malutensilien etc. miteinander – teilweise aus Geldmangel, teilweise aufgrund der Bedeutung brüderlicher Verbindung und Zusammenarbeit, die unter den Künstlerinnen und Künstlern herrschte.1

Die Brücke

Eine der ersten und wichtigsten Gruppen der Expressionisten war Die Brücke, die im Jahr 1905 von vier Studenten in Dresden gegründet wurde. Zu den ersten vier Mitgliedern zählten Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff. Später wurde sie von Emil Nolde, Max Pechstein, Otto Mueller und weiteren ergänzt. Der Name Die Brücke steht symbolisch für den Aufbruch, als Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft. Diese Namensgebung spiegelte den grundlegenden Anspruch der Gruppe wider, eine neue künstlerische Sprache zu entwickeln, die den Bruch mit der akademischen Tradition markierte und den Weg für eine moderne, expressive Kunst ebnete. Die Mitglieder der Brücke orientierten sich sowohl an der zeitgenössischen Avantgarde als auch an Vorbildern wie Albrecht Dürer. Besonders schätzten sie die Ausdruckskraft des Holzschnitts, den sie, ebenso wie den Linolschnitt, als unmittelbares und kraftvolles Medium nutzten und weiterentwickelten. Ihren künstlerischen Anspruch formulierten sie 1906 in einem programmatischen Holzschnitttext von Ernst Ludwig Kirchner:

„Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Genießenden, rufen wir alle Jugend zusammen. Und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.“

Die Gruppe entwickelte einen gemeinsamen Stil, der auf leuchtenden Farben, emotionaler
Spannung, drastischer Bildsprache und dem Einfluss des Primitivismus basierte. Nach einem Streit über die von Ernst Ludwig Kirchner verfasste Chronik der Gruppe, löste sich Die Brücke schließlich 1913 auf.

Der Blaue Reiter

Der Blaue Reiter war eine lose Künstlergruppe, die sich 1911 in München formierte. Die Hauptfiguren dieser Bewegung waren Wassily Kandinsky und Franz Marc. Der Name entstand während einer Unterhaltung am Kaffeetisch – beide Künstler mochten die Farbe Blau, Franz Marc liebte Pferde, Kandinsky hingegen Reiter. Im Gegensatz zur eher gesellschaftskritisch ausgerichteten Gruppe Die Brücke verfolgten die Mitglieder des Blauen Reiter einen stark geistigen, spirituellen Ansatz in der Kunst. Ihr Ziel war es, durch Farbe, Form und Symbolik innere Erlebnisse auszudrücken und die emotionale Wirkung der Kunst zu betonen, jenseits der realistischen Darstellung.

Zur Gruppe gehörten neben Kandinsky und Marc u.a. auch August Macke, Gabriele Münter, Paul Klee, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin. Die Künstlerinnen und Künstler hatten keinen einheitlichen Stil, aber eine gemeinsame geistige Haltung gegenüber Kunst. Sie organisierten wegweisende Ausstellungen und veröffentlichen im Mai 1912 ein zentrales Dokument, den Almanach Der Blaue Reiter. Dieser Almanach galt als theoretisches Manifest, welches die künstlerischen und geistigen Ideale der Gruppe darlegte und in dem Werke der europäischen Moderne mit außereuropäischer, volksnaher und religiöser Kunst gegenübergestellt wurden – eine Betonung der Gleichwertigkeit von Kulturen und Epochen und ein Ausdruck ihres interkulturellen und interdisziplinären Denkens, eine damals radikale Idee.

Der Almanach enthielt:

  • Reproduktionen von Werken moderner, mittelalterlicher und außereuropäischer Kunst
  • Texte über Musik, Malerei und Kunst
  • Beiträge von Künstlern, Musikern und Philosophen

Unter dem folgenden Link können finden Sie die 2. Auflage des Almanach: www.archive.org/details/derblauereiter00kand

Der Ausbruch des Erste Weltkriegs bedeutete das Ende der Künstlergruppe. Kandinsky kehrte 1914 nach Russland zurück, August Macke fiel im selben Jahr an der Front, Franz Marc nur zwei 1916 Jahre später. Trotz ihres kurzen Bestehens hatte Der Blaue Reiter entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der abstrakten Kunst im 20. Jahrhundert.

Merkmale des Expressionismus

Wie bereits erwähnt, betrachteten die Künstlerinnen und Künstler des Expressionismus die gesamte Geschichte der Kunst, über Epochen und Kulturen hinweg, als zentrale Inspirationsquelle für ihre Arbeit. Das Interesse beschränkte sich nicht auf die europäische Tradition, wie etwa die Verwendung von Holzschnitten von der Gruppe Die Brücke. Vielmehr richteten sie ihren Blick auch auf außereuropäische Kunst. In der Nachfolge des Jugendstils, dessen Vertreter sich intensiv mit der Kunst Japans und Chinas auseinandergesetzt hatten, suchten auch die Expressionisten nach Ausdrucksformen, die, wie Norbert Wolf es formuliert, „unverfälscht von künstlerischer Praxis und Regeln“ waren.2 . Ihr Interesse galt insbesondere solchen Werken, die als unmittelbar, ursprünglich und authentisch empfunden wurden.

Wolf erwähnt auch, dass Künstlerinnen und Künstler um 1900 verstärkt damit begannen, sich für ethnologische Sammlungen zu interessieren und ihre Ateliers mit afrikanischen Masken und Statuen aus dem Südpazifik schmückten. So brach Emil Nolde 1913 zu einer Expedition nach Neuguinea auf. Max Pechstein dachte 1914 gar darüber nach, sich auf den Palau-Inseln niederzulassen. Ästhetisch führten solche Interessen nicht zuletzt zu einer Reihe expressionistischer Schnitzwerke. Die Holzskulpturen Schmidt-Rottluffs wurden vermutlich von Carl Einsteins 1915 veröffentlichtem Buch inspiriert und auch Ernst Ludwig Kirchner schuf ähnliche Arbeiten.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs hinterließ tiefe Spuren im Schaffen vieler expressionistischer Künstlerinnen und Künstler. Während vor dem Krieg das Experimentieren mit Form, Farbe und Ausdruck im Vordergrund stand, häufig mit dem Ziel, innere Zustände, subjektive Wahrnehmungen und emotionale Spannungen sichtbar zu machen, änderte sich der Fokus nach 1914 deutlich. Die Erfahrungen des Krieges führten zu einer stärkeren Hinwendung zu gesellschaftlichen und sozialen Themen, der Darstellung von Kriegsopfern, sozialer Ungerechtigkeit sowie politischen Repressionen.

Typische Merkmale des Expressionismus im Überblick:

  • Einsatz leuchtender, lebendiger und kontrastreicher Farben
  • Vereinfachung der Formen bis hin zur Abstraktion
  • Thematisierung von Natur, Mensch und existenziellen Fragen
  • Einflüsse sowohl aus früheren Epochen als auch aus außereuropäischen Kulturen
Masken von Emil Nolde, 1911, Quelle: Wikimedia Commons, CC0

Künstler:innen des Expressionismus

Zum Kreis der expressionistischen Künstlerinnen und Künstler zählen sowohl die Mitglieder der Künstlergruppen Der Blaue Reiter und Die Brücke als auch weitere bedeutende Persönlichkeiten, darunter:

Die Brücke

Der Blaue Reiter

  • Alexej von Jawlensky
  • Wassily Kandinsky
  • Paul Klee
  • August Macke
  • Franz Marc
  • Gabriele Münter
  • Marianne von Werefkin

Weitere Künstler:innen

  • Heinrich Campendonk
  • Conrad Felixmüller
  • Helene Funke
  • Emmy Klinker
  • Käthe Kollwitz
  • Oskar Kokoschka
  • Paula Modersohn-Becker
  • Christian Rohlfs
  • Egon Schiele

Expressionismus auf dem Kunstmarkt

Künstler wie Egon Schiele, Wassily Kandinsky, Franz Marc und Ernst Ludwig Kirchner zählen zu den nachgefragten Künstlern der erster Hälfte 20. Jahrhunderts. Besonders Arbeiten aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gelten als rar und begehrt. So wurde im Jahr 2006 Kirchners Straßenszene von 1913, für umgerechnet rund 30 Millionen Euro verkauft, der bis dahin höchste Preis für ein Werk des Expressionismus.

Ausgewählte Ergebnisse für Werke des Expressionismus:

Künstlername

Kunstwerk

Preis inkl. Aufgeld

Ernst Ludwig Kirchner

Berliner Straßenszene; Bäume (1913)

38,1 Mio USD

Wassily Kandinsky

Murnau mit Kirche II (1910)

37,2 Mio GBP

Gabriele Münter

Gelbes Haus mit Apfelbaum (1910)

1,8 Mio GBP

Franz Marc

Der Wasserfall (1912)

20,2 Mio USD

August Macke

Mädchen mit blauen Vögeln (1914)

2,5 Mio EUR

Egon Schiele

Häuser mit bunter Wäsche (Vorstadt II) (1914)

24,7 Mio GBP

Oskar Kokoschka

Joseph de Montesquiou-Fezensac (1910)

20,4 Mio USD

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  1. Wolf, Norbert (2004) Expressionism. Köln, Taschen. ↩︎
  2. Wolf, Norbert (2004) Expressionism. Köln, Taschen. ↩︎

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