Was ist Provenienzforschung und warum ist sie wichtig?

Ein Gemälde kann oft mehr erzählen, als man auf den ersten Blick vermutet. Stellen Sie sich vor, Sie folgen den Spuren eines Gemäldes, recherchieren seine Vergangenheit und stoßen dabei auf Erkenntnisse, welche vor Jahrzehnten in Vergessenheit geraten sind. Mit dieser Kombination aus wissenschaftlicher Forschung, Geschichte und ethischer Verantwortung befasst sich die Provenienzforschung.
Wer besaß einst das Kunstwerk und wie gelangte es zum heutigen Besitzer? Wann und wo wurde es gekauft, verschenkt, ausgestellt oder sogar einem früheren Eigentümer unrechtmäßig entzogen? Provenienzforschung liefert Antworten auf diese spannenden Fragen und bringt so Licht in die Geschichte des Kunstwerkes. Auch Themen wie NS-Raubkunst, Beutekunst oder die koloniale Vergangenheit von Sammlungen spielen eine wichtige Rolle und sind zunehmend Gegenstand der Forschung. In diesem Beitrag befassen wir mit dem Thema Provenienzforschung, warum sie wichtig ist, wie sie funktioniert, aber auch welche Quellen und Tools in der Forschungspraxis zur Recherche genutzt werden.
Definition: Provenienzforschung
Provenienzforschung ist die wissenschaftliche Untersuchung der Herkunft (Provenienz) von Kunst- und Kulturgütern, d.h. von Kunstwerken, Büchern, Archivalien, Artefakten und anderen historischen Objekten. Provenienzforschung wird damit als Teildisziplin der Geschichte und Kunstgeschichte verstanden. Ziel ist es, die historischen Eigentumsverhältnisse eines Objekts möglichst lückenlos nachzuvollziehen, d.h. wer hat das Objekt einst besessen und wie kam es in die heutige Privatsammlung oder das Museum?
Warum ist sie wichtig?
- Gerechtigkeit: Kunstwerke gelangen mitunter unrechtmäßig in private aber auch öffentliche Sammlungen. Neben der Kolonialzeit ist hier besonders die Zeit vom Nationalsozialismus bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Schwerpunkt der Forschung. Von 1933 bis 1945 wurden laut Schätzungen zwischen 600.000 und 1 Million Kunstwerke ihren rechtmäßigen Eigentümern entzogen oder mussten unter Druck verkauft werden. Hinzu kommen über 2,6 Millionen Kunstwerke, die als Beutekunst der Alliierten aus Deutschland abtransportiert wurden.1 2 Private Opfer von Kunstraub, ihre Nachkommen aber auch Staaten erheben heute ethische und u.U. sogar rechtliche Ansprüche auf diese Kunstwerke.
- Vertrauen: Auch wenn Provenienzforschung mit unbequemen Wahrheiten konfrontieren kann, trägt gerade diese Auseinandersetzung zur Vertrauensbildung bei. Museen müssen heute nachweisen können, dass ihre Werke rechtmäßig erworben wurden. Viele Häuser beschäftigen intern Expertinnen und Experten, die sich kritisch mit der Geschichte und Entstehung ihrer Sammlungen auseinandersetzen. Diese Transparenz und institutionelle Selbstreflexion schafft Vertrauen bei der Öffentlichkeit.
Auch im Kunstmarkt spielt die Provenienzforschung eine wichtige Rolle. Eine lückenlos dokumentierte Herkunftsgeschichte bietet dem zukünftigen Eigentümer Sicherheit, dass das betreffende Werk unbedenklich ist und Dritte keine Rechte darauf anmelden können. Eine entsprechende Dokumentation und wird daher von vielen Auktionshäusern und Galerien vorausgesetzt und gilt aus Voraussetzung für den Verkauf. - Neue geschichtliche Erkenntnisse: Die Ergebnisse der Provenienzforschung können auch wichtige Hinweise auf den kulturellen Kontext eines Objektes geben und damit zur Erforschung von Kunst- und Kulturgeschichte beitragen.
- Einfluss auf den Wert: Im Kontext des Kunstmarktes kann Provenienz den Marktwert u.U. deutlich erhöhen aber auch reduzieren. Namen bekannter Auftraggeber und Vorbesitzer, wie z.B. David Rockefeller oder Karl Lagerfeld, haben häufig einen deutlichen Einfluss auf den Martwert. Selbst bestimmte Orte und Ausstellungen, in denen das Kunstwerk gezeigt wurde, können Sammler faszinieren und so den Wert des Kunstwerkes erhöhen.
Doch auch für den Kunstmarkt ist die Provenienzforschung von Bedeutung. Einerseits liefert sie Hinweise auf die Authentizität des Werkes, indem die früheren Eigentumsübergänge lückenlos belegt werden können, andererseits kann der Nachweis bekannter Auftraggeber und Vorbesitzer wie z.B. David Rockefeller oder Karl Lagerfeld, den Wert eines Kunstwerkes deutlich erhöhen.
Wie läuft eine Provenienzrecherche ab?
Bedeutende Kunstwerke hinterlassen oft Spuren in der Geschichte. Im Zuge der Provenienzforschung gilt es, diese Spuren zu finden und die verschiedenen Puzzleteile zu kombinieren. Einen Standardprozess für die Recherche gibt es dabei nicht, stattdessen gleicht die Suche oft einer akribischen Detektivarbeit, die mit Erfahrung und Gespür verbunden ist. Der erste Forschungsschritt beginnt in der Praxis meist mit der genauen Untersuchung des betreffenden Kunstwerkes.
- Kunstwerk unter der Lupe: Zunächst gilt es, das Objekt genau zu betrachten und Auffälligkeiten zu dokumentieren, sowohl auf der Vorder- als auch der Rückseite. Gerade der Blick auf die Rückseite von Gemälden kann wichtige Informationen zur Herkunft liefern. So lassen sich anhand von handschriftlichen Notizen aber auch Etiketten und Stempeln von Galerien, Auktionshäusern oder Museen Rückschlüsse auf die Herkunft ziehen.
- Archiv-Suche: Nachdem das Kunstwerk untersucht wurde, beginnt die eigentliche Recherche. Viele Museen verfügen über hauseigene Archive und historische Karteien, die in der Praxis oft als erster Ausgangspunkt für die Suche nach weiteren Informationen dienen. So lassen sich über historische Ausstellungskataloge oft Hinweise auf Leihgeber und vorherige Eigentümer finden. Auch kirchliche Archive, Zeitungsarchive, Sammlungen historischer Auktionskataloge oder Inventarbücher von Kunsthandlungen können wichtige Erkenntnisse für die Provenienzforschung liefern.
- Private Quellen: Vor allem aber gelten private Aufzeichnungen wie Briefe der Vorbesitzer, Fotos, Interviews oder Biografien als wichtige Quellen, die Aufschluss über den Besitz und die Herkunft von Kunstwerken geben können.
- Digitale Spurensuche: Zudem gibt es zahlreiche digitale Datenbanken, die zur Recherche genutzt werden können. Neben solchen für Verlorene oder gestohlene Kunstwerke, wie Lost Art oder das Art Loss Register, gibt es spezielle Datenbanken für Recherchen zum Schwerpunkt NS-Raubgut aber auch allgemeine wie den Getty Provenance Index, in dem sich neben Auktionskatalogen und Händlerverzeichnissen auch Nachweise von Beständen aus Stadt-, Landes- und Bundesarchiven sowie von Werken aus privaten Sammlungen finden.

Um die Besitzübergänge korrekt einordnen und bewerten zu können ist es wichtig, den politischen und historischen Kontext sowie die Umstände des Erwerbs mit zu berücksichtigen. Insbesondere bei Kunstwerken die zwischen 1933 und 1945 den Besitz gewechselt haben, aber auch bei außereuropäischer Kunst muss daher genau hingesehen werden.
Das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste hat zudem einen umfassenden Leitfaden zur Provenienzforschung erarbeitet, der praktische Hinweise, Fallbeispiele, Quellen und Empfehlungen zur Dokumentation umfasst.
Was passiert mit dem Kunstwerk nach der Forschung?
Als Ergebnis einer Provenienzforschung wird dem Kunstwerk ein Label zugewiesen. In verschiedenen Institutionen können solche Kennzeichnungen unterschiedlich sein, aber das Grundprinzip bleibt gleich: das Ergebnis der Forschung zu dokumentieren.
Beispiel: Im österreichischen Museum Belvedere werden die überprüften Werke folgenden Kategorien zugeordnet:
- unbedenklich: Es gibt keine Hinweise auf problematische Erwerbsumstände.
- bedenklich: Es bestehen konkrete Hinweise auf NS-Raub oder andere unrechtmäßige Besitzverhältnisse.
- offen – kein Hinweis auf Bedenklichkeit: Die Provenienz ist nicht vollständig geklärt, aber bisher gibt es keine Hinweise auf unrechtmäßige Besitzverhältnisse.
- offen: Die Herkunft ist unklar, und es können mögliche Probleme nicht ausgeschlossen werden.
Lautet das Resultat der Provenienzforschung „bedenklich“, wird eine Kommission einberufen und über die Zukunft des Werkes beraten. In vielen Fällen erfolgt im Weiteren die Rückgabe des Kunstwerkes an die Nachkommen der ursprünglichen Eigentümer:innen. Auf der Website des Belvedere kann man auch klar die Ergebnisse solcher Restitutionen einsehen. Das ist hilfreich um zu verstehen, wie groß der Bestand an Raubkunst in Museen noch immer ist.
Welche Tools gibt’s dafür?
Mit der Entwicklung neuer Technologien, Datenbanken sowie der Vernetzung von Informationen, ist auch die Provenienzforschung digitaler und zugänglicher geworden. Einige der wichtigsten Datenbanken für die Arbeit in der Praxis sind:
- Lost Art: Plattform für vermisste und geraubte Kunstwerke der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste.
- Art Loss Register: Ein kommerzieller Service, der nach eigenen Angaben über die weltweit größte Datenbank für gestohlene Kunstwerke, Antiquitäten und Sammlungsgegenstände verfügt.
- Proveana: vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste betriebenes Rechercheportal mit Informationen zu Kulturgutverlusten, Biografien und Forschungsvorhaben.
- Getty Provenance Index: Historische Auktions- und Sammlungsdaten, inklusive Auktionsdaten seit dem 16. Jahrhundert.
- Deutsches Zeitungsportal: Eine digitale Sammlung von über 4 Mio. Zeitschriften von 1671 bis 1994
- Digizeitschriften: Bietet Zugriff auf Beiträge aus einer Vielzahl von Fachzeitschriften mit dem Schwerpunkt Kunst
- Universität Heidelberg: Die Universitätsbibliothek Heidelberg besitzt im Rahmen ihres Sammelschwerpunktes „Europäische Kunstgeschichte“ weit über zehntausend Auktionskataloge von deutschen und internationalen Auktionshäusern.
- Metropolitan Museum of Art: Umfassende Informationen zur Provenienzforschung im MET.
- Archives Diplomatiques: Französisches Außenarchiv mit Unterlagen zur Restitution nach dem Zweiten Weltkrieg.
- Datenbank zum „Central Collecting Point München“: Wichtige Datenbank mit Archivalien der NS-Kulturpolitik.

Für viele bekannte Künstler:innen existieren Werkverzeichnisse (auch Werkkatalog oder Catalogue Raisonné genannt). Ein Werkverzeichnis wird nach wissenschaftlichen Standards erstellt und führt sämtliche bekannte und für echt befundene Werke des jeweiligen Künstlers bzw. der Künstlerin auf. Es umfasst in der Regel nicht nur Abbildungen und Basisinformationen der Kunstwerke (Titel, Technik, Maße, Entstehungszeitraum) sondern auch Informationen zu Ausstellungen, Erwähnungen in der Literatur sowie zur Provenienz. Damit sind diese Kataloge für die Provenienzrecherche äußerst wertvoll.
Beispiel Andy Warhol: Für einige Künstler:innen, wie z.B. Andy Warhol, gibt es auch mehrere offizielle Werkverzeichnisse, die sich unterschiedlichen Phasen oder Medien in seinem Oeuvre widmen und mit Unterstützung der Warhol Foundation entstanden sind:
- The Andy Warhol Catalogue Raisonné: Paintings, Sculptures, and Drawings, in Zusammenarbeit mit Thomas Ammann.
- Andy Warhol Prints: A Catalogue Raisonné 1962–1987, in Zusammenarbeit mit Ronald Feldman Fine Art, Inc., 2003.
- Andy Warhol Screen Tests: The Films of Andy Warhol Catalogue Raisonné, Volume 1, in Zusammenarbeit mit dem Whitney Museum of American Art, 2006.
- The Films of Andy Warhol Catalogue Raisonné: Volume 2, 1963–1965 , Whitney Museum of American Art, 2021.
Weitere Quellen und Tools für die Kunsthistorische Forschung finden sich in unserem Beitrag: Kunstgeschichte: Quellen, Datenbanken und Links.
Beispiel: Schwabinger Kunstfund
Im Jahr 2012 wurden in einer Wohnung in München über 1200 Kunstwerke gefunden. Die Wohnung gehörte Cornelius Gurlitt, dem Sohn des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt. Unter den gefundenen Kunstwerken befanden sich Zeichnungen, Druckgrafiken und Gemälde von Picasso, Matisse, Chagall und vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern. Schnell stand der Verdacht im Raum, dass es sich bei diesen Kunstwerken um NS-Raubgut handeln müsse. Nachdem die Bundesregierung es jahrzehntelang versäumt hatte, NS-Raubkunst aufzuarbeiten, sollte an Cornelius Gurlitt ein Exempel statuiert werden.3 Nach umfassenden Recherchen konnte nur bei 14 der beschlagnahmten Werke bestätigt werden, dass es sich um NS-Raubkunst handelte.
Warum ist dieser Fall so bedeutend?
Der Fall Gurlitt machte deutlich, dass es in der Bundesrepublik an einer systematischen Aufarbeitung von NS-Raubkunst fehlte. Somit galt der Fall als ein entscheidender Weckruf, der die Provenienzforschung in Deutschland nachhaltig veränderte und eine längst überfällige Debatte zum Umgang mit NS-Raubkunst neu entfachte. Die Gründung des Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste (DZK) in Magdeburg, im Jahr 2015, steht in engem Zusammenhang mit dem Fall Gurlitt. Das DZK bündelt heute die Deutsche Expertise zur Provenienzforschung, fördert Forschungsprojekte in Museen, Bibliotheken, Archiven und auch bei Privatpersonen. Zudem treibt es die internationale Vernetzung im Bereich der Forschung voran.
Experten gehen heute davon aus, dass sich noch immer mehrere zehntausend Kunstwerke mit „problematischer Vergangenheit“ in den Beständen der deutschen Museen befinden, wenn man NS-Raubkunst und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten zusammenrechnet.4 5 Der Bedarf an Provenienzforschung ist somit ungebrochen hoch. Es also noch Jahrzehnte dauern, bis die Sammlungen der Museen systematisch überprüft und erforscht wurden.
Weitere Links
- Deutsches Zentrum Kulturgutverluste
- Provenienzforschung und Restitution in den Sammlungen des Bundes in Österreich
- Lexikon der Österreichischen Provenizenzforschung
- Arbeitskreis Provenienzforschung e.V.
- Schweizerischer Arbeitskreis Provenienzforschung
- Informationssammlung zur Provenienzforschung in der Schweiz
Weitere Beiträge
Fußnoten
- Kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter in Russland ↩︎
- Tatort Kunst: US-Beutekunst – Diebische Befreier ↩︎
- Der Fall Gurlitt – eine Chronologie ↩︎
- NS-Raubkunst in Deutschen Museen ↩︎
- Koloniales Raubgut in Deutschland ↩︎
Quelle TItelbild: Foto von Erol Ahmed, Unsplash