Was ist Neue Sachlichkeit?

Neue Sachlichkeit - Georg Scholz, Selbstporträt vor der Litfasssaeule, 1926

Die Neue Sachlichkeit war eine einflussreiche Kunstrichtung, die in den 1920er Jahren im deutschsprachigen Raum entstand und sich bewusst als bewusste Gegenbewegung zum Expressionismus formierte.

Geprägt von den traumatischen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und den tiefgreifenden politischen wie gesellschaftlichen Umbrüchen der Weimarer Republik, suchten die Künstlerinnen und Künstler dieser Bewegung nach einer neuen, nüchternen Bildsprache. Sie wandten sich von der subjektiven, expressiven Malweise des Expressionismus ab und strebten stattdessen eine sachliche, realistische Darstellung der Wirklichkeit an.

Entwicklung der Neuen Sachlichkeit

Der Begriff Neue Sachlichkeit wurde 1925 durch den Kunsthistoriker Gustav Friedrich Hartlaub geprägt, der in der Mannheimer Kunsthalle eine Ausstellung mit diesem Titel organisierte. Gezeigt wurden darin Werke, welche sich durch eine realistische Darstellungsweise, klare Formen und einen Fokus auf gesellschaftliche Themen auszeichneten. Die Künstlerinnen und Künstler strebten nicht danach, persönliche Gefühle oder innere Zustände zum Ausdruck zu bringen, sondern stattdessen sachlich die äußere Wirklichkeit abzubilden. Alltagsgegenstände, Porträts und Szenen des städtischen Lebens werden in einer oft fast dokumentarischen Klarheit dargestellt. Die Bilder spiegeln so das Leben der Nachkriegszeit wider und thematisieren die damit verbundenen Schwierigkeiten und sozialen Herausforderungen.

Die Neue Sachlichkeit entstand nach den Wirren des Ersten Weltkriegs, als Reaktion auf die gesellschaftlichen und politischen Umbrüche der Weimarer Republik. Künstler und Literaten suchten nach einer neuen Ausdrucksform, die der von Krisen geprägten Gegenwart gerecht werden konnten. So kehrte die Malerei zu traditionellen Motiven und Maltechniken zurück, verzichtete jedoch auf Pathos und Subjektivität. Stattdessen dominierte eine sachliche, oft distanzierte Darstellung des Alltags und der sozialen Realität. So etablierte sich die Neue Sachlichkeit als eine der zentralen Kunstströmungen der Weimarer Republik, die schnell auch in Österreich, der Schweiz und den Niederlanden anklang fand. Diese Kunstrichtung war nicht nur auf die Malerei beschränkt, sondern fand auch in Literatur, Fotografie, Film und Architektur ihren Ausdruck. 

  • In der Literatur: Die Sprache wurde klar, knapp und sachlich, beispielhaft sind die Werke von Erich Kästner und Hans Fallada
  • Im Film: reale Schauplätze und Drehorten statt Studios,  Darstellung der Wirklichkeit, Verzicht auf Romantisierung, wie Filme die freudlose Gasse oder Menschen am Sonntag.
  • In der Architektur: Funktionalität im Vordergrund, klare geometrische Formen, neue Materialien.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 fand die Bewegung ihr Ende. Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus wurde die Neue Sachlichkeit als entartete Kunst bezeichnet und aus dem öffentlichen Kunstbereich verdrängt.

Strömungen der Neuen Sachlichkeit

Die Neue Sachlichkeit lässt sich in drei Hauptströmungen unterteilen: den Verismus, den Klassizismus und den Magischen Realismus.

Verismus

Der Begriff Verismus leitet sich vom lateinischen verus („wahr“) ab. Künstlerinnen und Künstler dieser Strömung strebten danach, die Wirklichkeit kritisch und oft provokativ zu schildern. Ihre Werke dienten dazu, die politische Instabilität und die soziale Ungleichheit der Nachkriegszeit schonungslos offenzulegen. Häufig thematisieren sie Armut, Korruption und den moralischen Verfall innerhalb der Weimarer Republik. Die Realität wird in diesen Bildern unverblümt und detailreich dargestellt, was der Bildsprache einen zugleich grotesken wie präzisen Charakter verleiht. Die dargestellten Szenen sind oft schonungslos und brutal in ihrer Direktheit und zeigen den Menschen häufig als verletztes und entmenschlichtes Opfer der gesellschaftlichen Umstände.

Merkmale:

  • scharfe Konturen
  • detailreiche Präzision
  • expressive Überzeichnung

Bedeutende Künstlerinnen und Künstler: 

  • Otto Dix (1891–1969)
  • Jeanne Mammen (1890 -1976)
  • George Grosz  (1893–1959)
  • Hans Ludwig Katz (1892-1940)

Klassizismus

Der Klassizismus bildet eine der zentralen Strömungen innerhalb der Neuen Sachlichkeit. Im Gegensatz zum gesellschaftskritischen Verismus wenden sich die Vertreter des Klassizismus von der direkten Auseinandersetzung mit sozialen Missständen ab und suchen stattdessen nach zeitloser Ordnung und Harmonie. Ihre Werke zeichnen sich durch klare, glatte Formen, eine ruhige Komposition und eine fast meditative Stille aus. Oft greifen sie dabei auf traditionelle Bildgattungen wie Landschaftsmalerei, Porträt oder Stillleben zurück. Der Mensch erscheint in diesen Bildern häufig vereinzelt und in einer magischen Ruhe, losgelöst von dramatischen Ereignissen der damaligen Zeit. So entsteht eine Kunst, die weniger auf Provokation als auf eine universelle, klassische Bildsprache und eine Rückkehr zur künstlerischen Ordnung abzielt.

Merkmale

  • Rückgriff auf klare, klassische Formen
  • Streben nach Ordnung und dem Ideal
  • Distanzierte, sachliche Bildsprach

Bedeutende Künstlerinnen und Künstler

  • Georg Schrimpf (1889-1938)
  • Alexander Kanoldt (1881-1939)
  • Christian Schad (1894-1982)

Magischer Realismus

Der magische Realismus zeigt, im Gegensatz zum Verismus und Klassizismus, die Welt in einem ruhigen und distanzierten Ton. Diese Strömung verbindet die sachliche Darstellung mit einer geheimnisvollen, oft surrealen Atmosphäre. Werke scheinen realistisch, enthalten aber subtile, magisch wirkende Elemente, die den Alltag ins Unwirkliche kippen lassen. Das Magische liegt dabei weniger in übernatürlichen Erscheinungen, sondern vielmehr in der besonderen Stimmung: Alltägliche Motive erhalten eine rätselhafte, fast surreale Qualität, die das Vertraute fremd erscheinen lässt. So betonen die Künstlerinnen und Künstler die verstörende Fremdheit des Alltags, wie sie viele nach den Erfahrungen des Krieges empfanden. Ziel war es, diese veränderte Wahrnehmung der Welt sowie die unterschwelligen Ängste und Schrecken der menschlichen Existenz sichtbar zu machen.

  • Ruhe, Distanz und Kühle in der Komposition
  • Präzise, realistische Darstellung
  • Verschmelzung von Realität und Magie
  • Verstörende, surreale Fremdheit des Alltags
  • Symbolik und Metaphern

Bedeutende Künstlerinnen und Künstler:

  • Franz Radziwill (1895-1983)
  • Richard Oelze (1900-1980)
  • Carl Grossberg (1894-1940)
Hans Mertens, Gebäude in Linden, Blick auf die Limmerstraße (1927), Public domain, via Wikimedia Commons

Neue Sachlichkeit auf dem Kunstmarket

In den 1960er Jahren kam es zu einer Neubewertung der Neuen Sachlichkeit. Es folgten große Ausstellungen, Monografien und ein wachsendes Interesse von privaten Sammlerinnen und Sammlern. In der Folge haben sich Kunstwerke der Neuen Sachlichkeit als stabile und wertsteigernde Positionen auf dem internationalen Kunstmarkt etabliert. Besonders Werke von Otto Dix und George Grosz erzielen auf Auktionen regelmäßig sechs- bis siebenstellige Ergebnisse. Auch Arbeiten von Christian Schad oder Jeanne Mammen sind beliebt und werden museal gewürdigt.

Das Interesse resultiert nicht nur aus der kunsthistorischen Bedeutung dieser Kunstströmung, sondern auch aus ihrer zeitlosen Relevanz. Die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Missständen, die psychologische Tiefe der Portraits sowie die technische Brillanz der Darstellung sprechen auch heute noch für sich. Zudem ist in den vergangenen Jahren ein verstärktes Interesse an Künstlerinnen der Neuen Sachlichkeit zu beobachten, darunter insbesondere Lotte Laserstein.

Ausgewählte Werke und Preise:

Künstlername

Kunstwerk

Preis inkl. Aufgeld

George Grosz

Gefährliche Straße (1918)

11,5 Mio. EUR

Otto Dix

Bildnis Rechtsanwalt Dr. Fritz Glaser

5,6 Mio. EUR

Christian Schad

Anna Gabbioneta (1927)

564.000 EUR

Franz Radziwill

Gespräch über einen Paragraphen (1929)

334.000 EUR

Georg Schrimpf

Stillende Mutter (1919)

230.000 EUR

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